Gedichte

Von der Dunkelheit ins Licht

Schatten umschleichen die Hütte,
es herrscht düstere Nacht.
Tief hängende Wolken verdecken das wenige Licht,
das die magere Mondsichel verbreitet,
und durch die milchigen Fenster schickt.
Man ist praktisch blind,
denn tiefe Dunkelheit verhüllt das Zimmer.

Ein Streichholz wird angerissen,
an einer rauen Oberfläche,
es zischt.
Der Streichholzkopf beginnt zu zünden, zu flackern,
leuchtet hell auf und brennt in schneller Geschwindigkeit ab.
Die Flamme greift auf den hölzernen Schaft über,
das Holz, eventuell mit Wachs getränkt,
brennt langsam weiter,
das gelb-weiße Material wird in schwarze Asche verwandelt.

Die Streichholzflamme berührt den Kerzendocht,
umwirbt ihn,
umschmeichelt ihn,
und wenn genügend Wachs in den gasförmigen Zustand übergegangen ist,
so fängt der Docht Feuer.

Es gleißt auf und eine konische Flamme zerrt am schwarzen Docht
der nur an der Spitze in gelb-rot glimmt.
In der Flammenmitte, fast farblos,
aber im oberen Bereich, im Halo,
leuchtend gelb.

So wird das Zimmer langsam mit Licht geflutet,
die Schemen weichen klaren Konturen,
der Schein weicht dem Sein.

© 2018 by Xaver Oberpfalz

Kretischer Wind – Meltemi

Ich dachte,
es sei zärtlich,
das Kennenlernen der Südküste von Kreta,
so wie sich das Anlehnen an eine blonde,
leicht mollige junge Frau
anfühlen könnte.

Doch nach dem Durchqueren der tiefen,
gezackten und zerfurchten Schlucht
tat sich eine andere Dimension auf.

Ein böiger Sturm vom Lande
vom Norden her
peitschte mich voran
und trieb mich zum südlichen Strand.
Dieser Sturm glich einer rassigen schwarzhaarigen Schönheit,
die sich ausgerechnet mich ausgesucht hat
in dieser Zeit
in dieser Gegenwart
einen überbordenden Genuss zu geben.
Drei Tage,
dann endete diese intensiv gelebte, geliebte Beziehung.
Dann wurde der Sturm, der mich so erschüttert hatte,
zum Wind
und verstummte dann vollends
Am nächsten Tag hatte mich meine Geliebte verlassen.
Ich war allein.
Aber nicht lange dann wurde ich umfächelt
von einer sanften Brise vom Meere her,
vom Süden her auf und ich erwachte wieder,
traf auf eine neue, andere Liebe.
Sie war brünett,
zärtlich und liebevoll,
und der Typ Frau, mit dem man sein Leben verbringen könnte.
Wir schauten gemeinsam ins karge Hinterland,
beobachteten Schafe und Ziegen,
und dann liebkosten uns dann an einem einsamen Strand.
Kreta sehen und sterben.

Doch nun fliegt der Abschied
Wie ein Geier, der über den Schluchten kreist,
auf uns zu.
Ich kehre zurück in mein kleines, kaltes Zuhause und werde ein Jahr lang träumen und mich erinnern an die schönen kretischen Frauen.
Versprochen, nächstes Jahr kehre ich zurück.

© 2015 by Xaver Oberpfalz

Se-kun-den

Tick-Tack
Sekunden vergehen, ganz kurze Ewigkeiten.
Tick-Tack, Tick-Tack
sechzigmal, eine Minute ist vorbei, es könnten sechzig orgasmatische Sekunden sein!
Tick-Tack, Tick-Tack, Tick-Tack
dreitausendsechshundertmal, eine Stunde rast vorbei, gerade die richtige Zeit, um ein Gedicht zu verfassen.
Tick-Tack, Tick-Tack, Tick-Tack, Tick-Tack
sechsundachzigtausendvierhundertmal, ein Tag des Lebens ist vergangen, von Mitternacht zu Mitternacht oder von der Morgendämmerung bis zum Abendleuchten und dann noch eine lange schlaflose Nacht.
Tick-Tack, Tick-Tack, Tick-Tack, Tick-Tack, Tick-Tack
sechshundertviertausendachthundertmal, eine Woche vergeht wie im Flug, man könnte ein Mädchen kennen- und liebenlernen, sogar für einen schmerzvollen Abschied wäre in dieser Zeitspanne Platz, inklusive dem Liebeskummer danach.
Tick-Tack, Tick-Tack, Tick-Tack, Tick-Tack, Tick-Tack, Tick-Tack
zwei Millionen vierhundertneunzehntausendezweihundertmal, in einem Monat vermag man, wenn man ein wenig talentiert ist, eine neue Sprache zu lernen, Englisch vielleicht oder Chinesisch, vielleicht auch Kisuaheli oder Esparanto, neue Freunde finden auf diese Art und Weise und damit den Horizont erweitern.
Tick-Tack, Tick-Tack, Tick-Tack, Tick-Tack, Tick-Tack, Tick-Tack, Tick-Tack
einunddreißig Millionen fünfhundertsechsunddreißigtausendmal, ein ganzes Jahr liegt zwischen zwei Geburtstagen, man könnte ein Haus bauen in dieser Periode oder ein Start-Up Unternehmen gründen, vielleicht soviel Geld scheffeln, dass man ein ganzes Leben davon zehren könnte, um dann einmal um den Globus zu trampen und überall da, wo man sich wohl fühlt, solange zu bleiben, bis die Sehnsucht einen weitertreibt!
Tick-Tack, Tick-Tack, Tick-Tack, Tick-Tack, Tick-Tack, Tick-Tack, Tick-Tack, Tick-Tack
zwei Milliarden fünfhundertzweiundzwanzig Millionen achthundertachtzigtausendmal, ein langes Leben lang für einen Menschen des 21.ten Jahrhunderts, hast du letztendlich dein Lebensziel erreicht, der Nachwelt etwas mitgegeben vielleicht oder neue Erfindungen gemacht oder ein Imperium geschaffen oder hast du einfach nur gelebt und bist dann einfach gestorben und wirst du schon nach der Beerdigung wieder vergessen sein?
Ticke-Tacke
wieviele Sekunden sind seit dem Urknall schon vergangen und werden noch vergehen, bis zum Untergang des Universums, und
wie viele Sekunden sind eigentlich in einer langen Ewigkeit enthalten?
Und letztendlich, dauert vielleicht eine lange Ewigkeit genau so lange wie eine kurze Ewigkeit…?

© 2018 by Xaver Oberpfalz